Autor:innen: Sarah Fieseler & Daniel Radtke
Die Autoren Georg Diez, ehemaliger Kolumnist und heute Direktor für Strategie und Medien eines unabhängigen Forschungsinstituts, und Emanuel Heisenberg, Start-Up-Gründer im Bereich der erneuerbaren Energien, veröffentlichten 2020 bei Hanser Berlin ihre Streitschrift Power To The People. Sie begeben sich auf die Suche nach Antworten auf die Frage, wie eine progressive Demokratie gestaltet sein kann, in deren Zentrum die Technologie steht. Ausgehend von den Verflechtungen zwischen Technologie, Wirtschaft und Demokratie, geben Diez und Heisenberg in ihrem Werk Vorschläge für neue Formen der Politik, die den Kampf gegen ökologische, ökonomische und politische Krisen im digitalen Zeitalter vorantreiben sollen. Die Autoren nehmen ihre Leser:innen mit auf eine Zeitreise von den Anfängen des Internets, dem Optimismus und den Visionen der 1950er und 1960er Jahre über die heutige Macht von Datenmonopolisten wie Facebook und Google bis hin zu einer zunehmenden Bedeutung von Künstlicher Intelligenz, Big Data und Algorithmen in der Zukunft.
Die Wahl Donald Trumps zum amerikanischen Präsidenten, das Votum zum Brexit und die damit verbundene missbräuchliche Nutzung der Facebook-Daten von Wähler:innen nennen Diez und Heisenberg als ihre persönlichen Auslöser, um über alternative Formen der Demokratie in einer digitalisierten Welt nachzudenken. Während Technologie auf der einen Seite das Zeitalter des Überwachungskapitalismus mit sich bringe, Autokraten neue Ausmaße der Macht ermögliche, die Freiheit der Menschen und damit auch die Demokratie bedrohe, stellen die Autoren eben diese Technologie auch als Werkzeug für eine transparente, lebendige und befreiende Demokratie vor.
Die repräsentative Demokratie, wie wir sie heute kennen, werde dem Anspruch der Realität nicht gerecht, sei zu starr und bleibe weit hinter den Möglichkeiten für politische Prozesse zurück. Macht müsse neu definiert werden: weg von einer zentralisierten, hierarchischen Struktur (top-down) hin zu einer horizontalen, partizipativen und transparenten Macht (bottom-up). Es brauche durch Technologie angetriebene direktere Formen der Demokratie, denn so findet die Demokratie wieder zurück zu ihren Wurzeln. Hierfür schreiben Diez und Heisenberg den Städten eine entscheidende Rolle zu, denn sie seien der Ort, an dem politische Teilhabe zentral stattfinde, und auf lokaler Ebene könne der digitale Wandel schneller vollzogen werden. Sie stellen Barcelona als Musterstadt im digitalen Zeitalter vor: Ausgestattet mit Sensoren in der urbanen Infrastruktur, intelligenten Verwaltungszentren sowie Apps und Plattformen zur Teilhabe und politischen Partizipation der Bürger:innen, hätten es die kommunalen Politiker:innen geschafft, ihre Stadt demokratisch zu reformieren. Erhobene Daten werden zum öffentlichen Gut und ermöglichen dem Gemeinwohl dienend andere
Formen von Bürgerverständnis, Bürgerbeteiligung und städtischer Industriepolitik. Mit einem neuen Bewusstsein von „think globally, act locally“ können internationale Fragen durch lokale Aktionen und Antworten behandelt werden und Technologie ermöglicht dabei die nötige Kommunikation, so die beiden Autoren.
In ihrem Buch beziehen sich Diez und Heisenberg auf die Ideen, Erfahrungen und Forschungen anderer Autor:innen, Philosoph:innen, Ökonom:innen, Manager:innen, Politikwissenschaftler:innen und Technologie-Expert:innen. Dadurch ergeben sich spannende Ansätze, die die beiden kritisch beurteilen, hinterfragen und in ihr Big Picture einer durch Technologie angetriebenen deliberativen Demokratie einordnen. Gerade das ständige Hinterfragen ist dabei Stärke und Schwäche dieser Streitschrift zugleich. Von der Idee, ob Algorithmen mit politischen Ämtern ausgestattet werden sollten, bis hin zu einem möglichen Stimmrecht von Städten im Sicherheitsrat der UN bleibt nahezu kein Thema unberührt. Das ist auf der einen Seite auch als Laie spannend zu lesen und eröffnet ganz neue Horizonte – führt auf der anderen Seite aber zur Überwältigung und Überforderung, zumal die Autoren oft nur an der Oberfläche bleiben.
Die beiden Autoren reißen ihre Leserschaft aber absichtlich mit in diese Flut von Fragen, auf die sie im Rahmen dieses Buches gar nicht antworten können, geschweige denn wollen. Vielmehr ist es Diez und Heisenbergs Anliegen, die Menschen aus der Komfortzone locken, ihnen zu zeigen, was in der Modellstadt Barcelona bereits möglich ist und was in Zukunft noch möglich werden kann. Hierbei ist allerdings fraglich, ob sie mit ihrem leicht anarchistischen Geist und ihrer idealistischen Einstellung ein zu optimistisches Menschen- und Weltbild vertreten.
Mit ihren Fragen wollen Diez und Heisenberg die Menschen zum Nachdenken bringen und anstoßen, es selbst als Teil dieser Gesellschaft in die Hand zu nehmen, die Zukunft mitzugestalten und den Wandel gemeinschaftlich voranzubringen. Ihre Vision von Power To The People zieht sich wie ein roter Faden durch das Buch und ihre Argumentation wird dieser auch gerecht, wenn man das Werk als Aufruf zu einer Art digital-demokratischen Revolution und nicht als fertige Handlungsanweisung versteht.
Diez, Georg/Heisenberg, Emanuel (2020): Power To The People: Wie wir mit Technologie die Demokratie neu erfinden. München: Hanser Berlin. |
Die Rezension ist entstanden im Seminar Vermessung und Digitalisierung von Wissenschaft und Gesellschaft.
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