Interviews sind ein wertvolles Quellenmaterial, das unter anderem für die Lehre, andere Forschungsprojekte oder von der Öffentlichkeit und der Zivilgesellschaft (nach-)genutzt werden kann. Das Archivieren, Öffnen und Teilen von Interviews und des Forschungsprozesses bietet vielfältige Potentiale, die Nachvollziehbarkeit, Nachnutzbarkeit und Kollaboration von Forscher*innen zu vereinfachen. Es trägt dazu bei, Transparenz und Qualität in der Wissenschaft und den Austausch mit Kolleg*innen und der Gesellschaft zu verbessern. Die europäische Forschungsförderung verfolgt bei Forschungsdaten den Grundsatz „As open as possible, as closed as necessary“. Der Umgang mit Forschungsdaten erfordert daher eine differenzierte Abwägung.
Welche Fragen und Probleme sind mit der Öffnung von Interviews verbunden? Welche Repositorien und Forschungsdatenzentren bieten sich für Interviews an? Und was sollte man bei der Archivierung und Nachnutzbarmachung beachten? Dieser Leitfaden soll als Orientierungshilfe für Forscher*innen dienen, um zu entscheiden, ob, wo und wie Interviews archiviert, geöffnet und geteilt werden können. Er wurde als Poster auf den Open-Access-Tagen 2020 sowie dem 40. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Soziologie 2020 präsentiert.

1. Vorbereitung und Planung

Bei Qualifikationsarbeiten: Sprechen Sie mit Ihren Betreuer*innen über das Archivieren, Öffnen und Teilen von Interviews. Einen Überblick über das Öffnen und Teilen von Daten qualitativer Forschung bietet Steinhardt et al. (2020).

Reflektieren Sie, ob in Ihrem Projekt durch das Öffnen und Teilen ein Eingriff in den Forschungsprozess entstehen würde. Eine Beeinflussung der Interviewsituation können Sie umgehen, indem Sie Fragen der Archivierung und Zugänglichmachung erst nach dem Interview besprechen, beispielsweise auf Grundlage des Interviewtranskripts.

Erstellen Sie einen Datenmanagementplan, um Ihren Umgang mit Forschungsdaten zu reflektieren und zu strukturieren. Es gibt mehrere Tools, die Sie zur Erstellung eines Datenmanagementplans nutzen können.

Informieren Sie sich über geeignete Forschungsdaten-Repositorien. Der Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten akkreditiert Forschungsdatenzentren.

Das Forschungsdatenzentrum Qualiservice hat sich auf die Archivierung und Bereitstellung von Interviews und anderen qualitativen Daten aus der Sozialforschung spezialisiert. Lassen Sie sich dort beraten und planen Sie Zeit und Kosten für die Archivierung ggf. in Ihrem Förderantrag mit ein.

2. Durchführung

Dokumentation und Kontextualisierung: Für eine gute Nachvollziehbarkeit und Nachnutzbarkeit ist eine möglichst umfassende und prozessbegleitende Dokumentation und Kontextualisierung Ihrer Interviews wichtig. Dazu gehören die Mitglieder Ihres Forschungsteams, die Erläuterung der Auswahl Ihrer Interviewpartner*innen, die Kommunikation vor dem Interview, der Kontext der Interviewsituation sowie die weiteren Bearbeitungs- und Auswertungsschritte.

Datenschutz: Als Forscher*in sind Sie verpflichtet, verantwortungsvoll mit den personenbezogenen Daten Ihrer Interviewpartner*innen umzugehen. Nach der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) dürfen personenbezogene Daten nur für festgelegte, eindeutige und legitime Zwecke erhoben und verarbeitet werden. Darüber hinaus sind die Landesdatenschutzgesetze für öffentliche Hochschulen in Deutschland einschlägig. Die Erhebung, Verarbeitung und Archivierung von personenbezogenen Daten bedarf daher der informierten Einwilligung Ihrer Interviewpartner*innen.

Informierte Einwilligung: Die Einwilligungserklärung einer Interviewpartner*in setzt voraus, dass Sie sie über Ihre Forschungsabsicht, das Vorgehen, die konkrete Nutzung der Daten und die Rechte der beforschten Person aufgeklärt haben und die Person dies verstanden hat. Bei unter 16-Jährigen müssen zusätzlich die Eltern einwilligen. Die Einwilligung kann mündlich oder schriftlich erfolgen. Eine schriftliche Einwilligung ist aufgrund von Nachweispflichten zu empfehlen. Die Einwilligung zur Datenerhebung und die Einwilligung zum Öffnen und Teilen von Daten müssen nicht in einem Schritt erfolgen. Eine nachträgliche Einwilligung kann sinnvoll sein, da Beforschte dann besser einschätzen können, welche Informationen Sie ggf. für eine Nachnutzung freigeben. Einige Forschungsdatenzentren bieten Vorlagen für Einwilligungserklärungen an, die Sie für Ihr Projekt anpassen können.

Anonymisierung und Pseudonymisierung dienen dem Datenschutz. Die Herausforderung bei der Anonymisierung bzw. Pseudonymisierung besteht in der Abwägung zwischen dem Datenschutz und der Interpretierbarkeit. Ihr Ziel ist es, dass das Interview nicht (mehr) einer oder mehreren Personen zugeordnet werden kann, aber dennoch noch sinnvoll interpretiert werden kann. Anonymisierte Interviews dürfen Sie öffnen und teilen. Dabei sollten Sie vermeiden, dass eine Re-Identifizierung durch die Kombination mit anderen Daten möglich ist.

Sensibilität von Daten: Achten Sie vor allem bei vulnerablen Gruppen (z. B. geflüchteten, kranken oder kriminalisierten Personen, Kindern und Jugendlichen) auf einen verlässlichen Datenschutz.

3. Archivieren, Öffnen und Teilen

Wo sollte ich meine Daten archivieren? Sie haben mehrere Optionen: Fachspezifische Forschungsdatenzentren wie Qualiservice sind auf qualitative Forschungsdaten spezialisiert und sorgen für transparente und standardisierte Zugangsregeln. Die Nachnutzung von Interviews ist bei Qualiservice nur nach Abschluss eines Nutzungsvertrages ausschließlich für wissenschaftliche, nicht-kommerzielle Zwecke möglich. Allgemeine wissenschaftliche Datenspeicherdienste wie Zenodo bieten sich insbesondere für Kontextmaterial und Interviews an, bei denen alle Beteiligten einer Veröffentlichung zugestimmt haben.

Wer ist Urheber*in von Interviews? Interviews sind das Ergebnis einer Interaktion zwischen Forscher*innen und Interviewpartner*innen. Wenn alle Beteiligten einer Veröffentlichung ohne Anonymisierung zugestimmt haben, sollten in der Regel auch alle Beteiligten als (Co-)Autor*innen angegeben werden.

Öffnen und Teilen Sie nicht nur Ihre Interviews (Transkripte), sondern auch Kontextmaterial wie Datenmanagementpläne, Interviewleitfäden, Feldnotizen, Transkriptionsregeln oder Kategoriensysteme.

Wissenschaftskommunikation: Nutzen Sie die vielfältigen Formen und Formate der Wissenschaftskommunikation, um Ihre Forschungsdaten und –ergebnisse mit Ihren Kolleg*innen und der Gesellschaft zu teilen.

4. Literatur

Huschka, Denis et al. (Hg.) (2013): Forschungsinfrastrukturen für die qualitative Sozialforschung. Berlin: Scivero.
RatSWD (Hg.) (2018): Archivierung und Zugang zu qualitativen Daten. RatSWDWorking Paper 267/2018. Berlin: Rat für Sozial- und Wirtschaftsdaten (RatSWD). DOI: https://doi.org/10.17620/02671.35
Steinhardt, Isabel et al. (2020): Das Öffnen und Teilen von Daten qualitativer Forschung. Ergebnisse eines Workshops der Forschungsgruppe „Digitalisierung der Wissenschaft“. Weizenbaum Series 6. Berlin: Weizenbaum Institute for the Networked Society. DOI: https://doi.org/10.34669/wi.ws/6

Förderung

Der Leitfaden ist entstanden im Rahmen des Projekts Open Interviews. Auf dem Weg zur Öffnung qualitativer Interviewforschung. Das Projekt wurde das 2018/2019 im Rahmen des Fellow-Programm Freies Wissen von Wikimedia Deutschland, dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft und der VolkswagenStiftung gefördert.

Lizenz

Dieses Werk ist lizensiert unter der Lizenz Creative Commons Attribution 4.0 International (CC BY 4.0).

Zitationsvorschlag

Möllenkamp, Andreas (2020): Öffnen und Teilen von Interviews. Ein Leitfaden. Zenodo. DOI: https://doi.org/10.5281/zenodo.3925304