Das Buch Zukünfte gestalten von Benedikt Groß und Eileen Mandir entwirft und beschreibt ein recht neues Wirkungsfeld für Designer*innen, das darin besteht Zukunftsszenarien zu entwerfen und zu gestalten: Das Design Futuring. Es handelt sich hierbei nicht um eine fest definierte Design-Disziplin, sondern eher um eine Art Design zu praktizieren. Inspiriert ist Design Futuring von der Zukunftsforschung sowie von verschiedenen Designrichtungen wie dem Speculative und dem Critical Design.

Die Rolle der Designer*in ist aus der Perspektive des Design Futuring die einer Vermittler*in zwischen Forschung, Politik und Gesellschaft. Designer*innen agieren dabei als eine Art Berater*in für Stakeholder*innen aus Politik, Wirtschaft und anderen gesellschaftlichen Feldern. Mit den Methoden des Designs sollen dann Zukunftsszenarien erkundet, entworfen und verhandelt werden. Das Buch ist daher vor allem eine Sammlung von 27 praxisorientierten Methoden. Die Autor*innen betonen hierbei, dass diese Methoden keine abschließende Sammlung darstellen, sondern ihre persönliche Interpretation von Design Futuring widerspiegeln und von ihrem Werdegang geprägt sind. Sie stellen Design Futuring als Prozess dar, welcher aus drei Schritten besteht (vgl. Abb. 1).

Abbildung 1: Der Design Futuring Prozess (S. 10-11)

Die Struktur des Buches ist an diesen Prozess angelehnt und aufgeteilt in fünf inhaltliche Themenblöcke:

1. Grundlagen
2. Exploration
3. Zukunftsbilder
4. Strategie
5. Projekte und Workshops

Die drei mittleren Themenblöcke bilden den Design Futuring-Prozess. Ergänzt werden die Themenblöcke von einer kurzen Einleitung und einem Anhang, welcher vor allem aus FAQs zu Design Futuring besteht. Die Einleitung gibt einen kurzen Überblick über den Aufbau des Buches und eine Einführung in Design Futuring sowie das dahinterstehende Verständnis von Design. Es nimmt außerdem Abgrenzungen zu zwei anderen Design-Formen vor,  dem Design Thinking und dem User Centered Design.

In den Grundlagen werden zentrale Fragen zu Zukunftsbildern und der Visualisierung und Gestaltung von Zukunft gestellt. Außerdem wird die Gestaltungsabsicht hinter dem Design Futuring-Prozess durch die Verhandlung von drei Perspektiven (Innovation, Spekulation und Kritik) deutlich gemacht.

Der Themenblock Exploration ist in zwei Teile aufgeteilt. Im ersten Teil, dem Entdecken, werden Methoden für eine strukturierte Recherche zum Kontextualisieren der Fragestellung vorgestellt. Hier werden vor allem Fragen nach aktuell bestehenden Signalen und Trends im Zusammenhang mit Zukunftsszenarien gestellt und die Frage nach dem sinnvollem Clustering von diesen Signalen und Trends, um sich einen guten Überblick zu verschaffen.

Nachdem im vorherigen Schritt in die Breite recherchiert wurde, sollen im zweiten Schritt, dem Vertiefen, interessante Zusammenhänge hinter den Signalen und Trends ausfindig gemacht werden. Hierfür werden ebenfalls unterschiedliche Methoden vorgestellt wie das Future Wheel oder die Causal Layered Analysis.

Der Themenblock Zukunftsbilder teilt sich auf in Szenarien und Narrative. In dem Szenarien-Teil werden Fragen behandelt, welche sich mit der zielgerichteten Entwicklung von Zukunftsszenarien beschäftigen. Es wird vor allem verhandelt, wie sich interessante und wünschenswerte Zukünfte entdecken und beschreiben lassen. Dieser Schritt ist außerdem die Vorbereitung auf den darauffolgenden Schritt der Narrative. Hierfür werden den Leser*innen die Methoden Futures Cone, Vier Archetypen der Zukunft, 2×2 Szenarien und Ungeschehene Geschichte an die Hand gegeben.

Das Kapitel Narrative beschäftigt sich mit der Frage, wie Zukunftsszenarien erlebbar gemacht werden können. Hier spielt der Transport eines Narrativs und die Vermittlung von Emotionen eine wichtige Rolle. Die Methoden Diagetic Prototypes, Future Mundane, World Hinting und Experiential Futures Ladder werden hier zur Umsetzung vorgeschlagen.

Unter dem Themenblock Strategie sind zwei Kapitel gefasst: Meinungsbildung und Transformation. Hier geht es darum, den Leser*innen Strategien an die Hand zu geben, wie sie als Moderator*in eine Gruppe dabei unterstützen können sich auf eine wünschenswerte Zukunft zu einigen. Die Methoden Zwicky-Flight-Levels, Transcend Methode und Imaginary Future Generations sollen dabei unterstützen.

Im letzten Schritt des Design Futuring Prozesses geht es um die Transformation. Dieser setzt nach der Einigung auf eine wünschenswerte Zukunft an. Es geht darum, in der Gegenwart die richtigen Weichen für diese wünschenswerte Zukunft zu stellen und einen Plan bzw. eine Strategie aus den erarbeiteten Zielvorstellungen zu kreieren. Die Methoden Backcasting, Drei Horizonte und Inspect & Adapt helfen bei der Strategiefindung.

Nachdem in den vorangegangenen Kapiteln die unterschiedlichen Phasen des Design Futuring Prozesses beschrieben und mit Methoden angereichert wurden, geht es in den nächsten Kapiteln Projekte und Workshops um praktische Beispiele, in denen die Umsetzung einiger Methoden anschaulich dargestellt wird. Beispielsweise wird das Projekt Green Skin – Autos als rollende Grünfläche und ihre Wirkung auf Stadtklima und Stadtbild von Raphael Reimann, Tilman Häuser, Bjørn Karmann, Andreas Ruff und Eileen Mandir vorgestellt (vgl. Abb. 2).

Abbildung 2: Begrünter smart (S. 192-193)

Das Projekt beschäftigte sich mit der Frage, wie Autos in Zukunft aussehen könnten, um einen besseren Einfluss auf das Stadtbild und das Stadtklima zu haben als gegenwärtig. Die Designer*innen entwickelten gemeinsam mit der Moovel GmbH die Idee, dass Autos eine begrünte Oberfläche haben könnten und setzten diese Idee in einem Design Futuring-Projekt in die Tat um. Das Ergebnis: Ein mit Rasen bepflanzter Kleinwagen, welcher einige Wochen durch die Stuttgarter Innnenstadt kurvte!

Nach diesem Überblick über die Inhalte des Buchs gehe ich im Folgenden auf seine Gestaltung sowie die Verortung des Design Futuring ein und nehme zum Schluss Vorannahmen und Herausforderungen kritisch unter die Lupe. Das Buch ist sehr ansprechend und durchdacht gestaltet. Die Farbwahl setzt nicht nur Akzente, sondern hilft auch bei der Orientierung im Buch. Die entwickelten Illustrationen veranschaulichen die beschriebenen Methoden und Prozesse und erleichtern damit das Verständnis. Die Autor*innen haben sich für das Buch eine sehr übersichtliche Struktur überlegt, welche in sich schlüssig ist und einen roten Faden verfolgt.

Die Kapitel sind immer gleich aufgebaut, was den Lesefluss vereinfacht. Vorschläge zu theoretischen Vertiefungen in Form von Papern sind innerhalb der Kapitel in ausreichender und gut gewählter Form eingestreut, ohne dass es überfordernd oder überladen wirkt. Die Leser*innen werden vor den Kapiteln auf einer Seite auf den Inhalt des Kapitels vorbereitet und nach den Kapiteln wird eine Zusammenfassung angefügt, was das Verarbeiten und Wiederfinden der Informationen erleichtert. Außerdem ist nach jeder Methode im Hauptteil des Buches die Rubrik „Nützlich für“ angefügt, um einen Überblick über mögliche Anlässe zu geben, in denen der Einsatz der Methode wertvoll sein kann.

Die Autor*innen haben es sich zum Ziel gesetzt, dass interessierte Designer*innen direkt in den Design Futuring Prozess einsteigen können. Die Beispiel-Projekte geben dazu eine gute Orientierung und können bei der Ideenfindung helfen. Das Buch gibt gute Tipps, wie eigene Workshops konzipiert und gestaltet werden können. Es existiert zudem eine Website, welche als Ergänzung zum Buch entwickelt wurde.

Die Autor*innen merken an, dass sich das Buch explizit nicht an Expert*innen, sondern eher an Einsteiger*innen und Fortgeschrittene richtet. Deshalb sind die Inhalte auch entsprechend kurz und ohne tiefere Diskussion dargestellt. Gerade die Einführung in das Themenfeld könnte allerdings etwas ausführlicher gestaltet sein, damit Einsteiger*innen einen tieferen Einblick in das Themenfeld bekommen. Es wäre schön, wenn noch genauer beschrieben würde, wie sich Design Futuring entwickelt hat. Vor diesem Hintergrund gibt das Buch nicht in jeder Hinsicht Antworten. Es wird zwar beschrieben, von welchen Design-Disziplinen Design Futuring inspiriert ist und von welchen es sich abgrenzen lässt, es wäre aber auch spannend zu erfahren, welche Akteur*innen an der Entwicklung beteiligt sind und waren. Es könnte auch hilfreich sein noch expliziter zu werden, bei welchen wirtschaftlichen, gesellschaftlichen und politischen Fragen es vor allem sinnvoll wäre, Designer*innen am Zukunftsbildungsprozess als Unterstützung zu Rate zu ziehen und noch mehr Beispiele zu bringen, wo dies auch im deutschsprachigen Raum geschieht. Da es sich um einen neuen Wirkungsbereich handelt, wäre es auch spannend zu klären, welche Strukturen und Communitys unter praktizierenden Designer*innen existieren und wie man diese finden kann. Außerdem wäre es interessant, wie Designer*innen an Projekte und Aufträge und Auftraggeber*innen in diesem neuen Wirkungsbereich kommen können.

Die einzelnen Phasen und die Methoden sind sehr ausführlich beschrieben und im Prozess bauen die einzelnen Schritte aufeinander auf. Hervorzuheben ist, dass am Anfang des Buches darauf hingewiesen wird, dass eigene Zukunftsvorstellungen sich auf den Design Futuring-Prozess auswirken. Die Autor*innen motivieren die Leser*innen deshalb dazu, ihre Zukunftsvorstellungen kritisch zu hinterfragen und zu reflektieren. Sie betonen, dass ihr persönlicher Werdegang das Buch und die Auswahl der Methoden in diesem Buch beeinflusst haben und das Buch deshalb nicht objekt ist. Es bleibt allesdings offen, inwiefern die eigene Geschichte das Buch beeinflusst hat. Diese Reflektion wäre durchaus von Interesse, da die Autor*innen dann eventuell auch weitergehende Fragen zur Perspektive dieses Buches klären würden.

Die Projekte am Ende des Buches veranschaulichen einige Methoden und können dabei helfen eigene Ideen für diese Methoden zu finden. Etwas schade ist, dass die Projekte nicht in einen weiteren Kontext eingebettet sind. Die Leser*innen erfahren leider kaum Hintergrundinformationen zu den Projekten, was die Einordnung schwierig macht.

Anzumerken ist außerdem, dass das Buch eine bestimmte Sichtweise auf Zukunftsgestaltung vermittelt und bestimmten gesellschaftlichen Akteur*innen die Rolle der Gestalter*innen zukommen lässt. Die Trägergruppe der Zukunftsgestaltung sind aus der Perspektive dieses Buches vor allem Stakeholder*innen aus Wirtschaft, Politik und Wissenschaft. Den Designer*innen kommt hierbei die Vermittlerrolle zu. Dies wirft die Frage auf, wie partizipativ und inklusiv Zukunftsgestaltung aus dieser Perspektive eigentlich ist. Wer wird in diesem Prozess mitgedacht? Wessen Perspektiven werden aufgewertet, ausgeschlossen oder vergessen?

Das Buch kann seinerseits als Artefakt gesehen werden anhand dessen die Frage aufgeworfen werden kann, wie Zukunftsgestaltung in Gegenwart und Zukunft eigentlich aussehen soll und wem hierbei Gestaltungsmöglichkeiten zukommen.

Groß, Benedikt/Mandir, Eileen (2022): Zukünfte gestalten. Spekulation, Kritik, Innovation. Mit Design Futuring Zukunftsszenarien strategisch erkunden, entwerfen und verhandeln. Mainz: Verlag Hermann Schmidt.

Die Rezension ist entstanden im Seminar Zukunftsentwürfe in/von Wissenschaft, Technik und Kultur (Sommersemester 2023).